Erster astrophysikalischer Nachweis des Heliumhydrid-Ions

17. April 2019

SOFIA entdeckt erste Molekülart des Universums

Die frühe Entwicklung unseres Universums ist nicht denkbar ohne das Heliumhydrid-Ion (HeH +). Dieses Molekül konnte bisher im Weltall nicht nachgewiesen werden. Erst mit dem Ferninfrarot-Spektrometer GREAT an Bord der fliegenden Sternwarte SOFIA ist es einem internationalen Forscherteam unter der Leitung von Rolf Güsten vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie nun geglückt, dieses Molekül in Richtung des Planetarischen Nebels NGC 7027 eindeutig nachzuweisen. Die Ergebnisse werden in der Ausgabe der Fachzeitschrift Natureâ vom 18. April 2019 veröffentlicht.

Die herausragende Bedeutung des Heliumhydrid-Ion (HeH +) ergibt sich aus seiner Rolle bei der Entstehung des Universums: Ungefähr 300.000 Jahre nach dem Urknall erfolgte der Beginn aller Chemie. Die Temperatur im noch jungen Universum lag zu diesem Zeitpunkt bei einem Wert von etwa 4.000 Grad Celsius. Die im Urknall entstandenen Elemente wie Wasserstoff, Helium, Deuterium und Spuren von Lithium waren aufgrund der hohen Temperaturen ionisiert und rekombinierten im sich abkühlenden Universum mit freien Elektronen: So entstand zunächst Helium als erstes neutrales Atom. Der Wasserstoff war zu diesem Zeitpunkt noch ionisiert und lag in Form von freien Protonen oder Wasserstoffkernen vor. Mit ihnen verbanden sich die Heliumatome zum Heliumhydrid-Ion HeH +, das so zu einer der wohl ersten molekularen Verbindungen im Universum wurde. Mit fortschreitender Rekombination reagierte das HeH + mit den nun vorhandenen neutralen Wasserstoffatomen und bildete so einen Pfad zur Entstehung von molekularem Wasserstoff und damit dem chemischen Beginn unseres Universums.

Heliumhydrid-Ion

Aus Laboruntersuchungen ist HeH + seit fast 100 Jahren bekannt, aber im Weltall war es trotz aufwendiger Suche bisher nicht aufzufinden. Mit der Folge, dass die damit verbundenen chemischen Modellrechnungen angezweifelt wurden. „Die Chemie des Universums hat mit HeH + begonnen. Der fehlende Nachweis für die Existenz dieses Moleküls im interstellaren Raum hat für lange Zeit ein Dilemma für die Astronomie dargestellt“, sagt Rolf Güsten vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR), Erstautor der Veröffentlichung und bis zum Oktober 2018 Projektleiter für den GREAT-Empfänger.

In den späten 1970er Jahren deuteten astrochemische Modelle auf die Möglichkeit hin, dass HeH + in nachweisbarer Häufigkeit in astrophysikalischen Nebeln innerhalb unserer Milchstraߟe vorhanden sein könnte. Die Suche in sogenannten Planetarischen Nebeln – Gashüllen, die von sonnenähnlichen Sternen in der letzten Phase ihres Lebenszyklus ausgestoߟen werden – erwies sich als erfolgversprechend. Die energiereiche Strahlung, die dabei vom Zentralstern, einem Weiߟen Zwerg mit einer Oberflächentemperatur von über 190.000 Grad, erzeugt wird, treibt Ionisationsfronten in die ausgestoߟene Hülle. Genau dort sollte sich nach den Modellrechnungen das HeH +-Molekül ausbilden.

GREAT am SOFIA Teleskop

HeH + strahlt am stärksten im infraroten Spektralbereich bei einer charakteristischen Wellenlänge von 149 µm (entsprechend einer Frequenz von 2,01 Terahertz). Die Erdatmosphäre ist in diesem Wellenlängenbereich komplett undurchlässig, so dass die Suche nach HeH + entweder aus dem Weltraum oder mit der weltweit einzigen flugzeuggestützten Infrarot-Sternwarte SOFIA erfolgen musste. In einer Flughöhe von 13 bis 14 Kilometern erlaubt SOFIA Astronomen einen störungsfreien Blick auf das infrarote Universum. „Mit den jüngsten Fortschritten in der Terahertz-Technologie ist es nun möglich, hochauflösende Spektroskopie bei den erforderlichen ferninfraroten Wellenlängen durchzuführen“, erklärt Rolf Güsten. Als Ergebnis von Messungen mit dem GREAT-Spektrometer, das an Bord von SOFIA zum Einsatz kam, kann das Team nun den eindeutigen Nachweis des Heliumhydrid-Ions in Richtung des Planetarischen Nebels NGC 7027 bekannt geben. 

SOFIA über den Wolken

"Diese Entdeckung zeigt wie wichtig es ist, dass wir mit den SOFIA Instrumenten immer auf dem neuesten technologischen Stand sind. Vor ein paar Jahren wären diese Messungen noch nicht möglich gewesen“, erläutert Alfred Krabbe, Leiter des Deutschen SOFIA Instituts der Universität Stuttgart, das den SOFIA-Betrieb auf deutscher Seite koordiniert.

„Der Nachweis von HeH + ist ein aufregender und groߟartiger Beleg für die Tendenz der Natur, Moleküle zu bilden“, sagt David Neufeld von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, ein Ko-Autor der Veröffentlichung. „Trotz der wenig verheiߟungsvollen Zutaten, einer Mischung von Wasserstoff mit dem kaum reaktiven Edelgas Helium, und der rauen Umgebungsbedingung bei einer Temperatur von mehr als 1.000 Grad Celsius, hat sich ein sehr fragiles Molekül ausgebildet. Es ist bemerkenswert, dass dieses Phänomen von den Astronomen nicht nur beobachtet, sondern auch auf Basis der von uns entwickelten theoretischen Modelle verstanden werden kann.“

Original Nature-Paper:
First astrophysical detection of the helium hydride ion (HeH+), R. Güsten et al., zur Veröffentlichung in Nature, Ausgabe 18. April 2019. DOI: 10.1038/s41586-019-1090-x

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GREAT: Der “ German Receiver for Astronomy at Terahertz Frequencies“ ist ein hochauflösendes Spektrometer für astronomische Beobachtungen bei fern-infraroten Wellenlängen zwischen 0,06 und 0,6 mm. Damit operiert GREAT in einem Spektralbereich, der wegen der Absorption der Erdatmosphäre von bodengebundenen Observatorien aus nicht zugänglich ist. Der modulare Aufbau des Instruments ermöglicht den kurzfristigen Einbau neuartiger Technologie und hat damit erst die Möglichkeit eröffnet, das HeH +-Molekül bei einer Wellenlänge von 0,149 mm (das entspricht einer Frequenz von 2,01 Terahertz) nachzuweisen. Mit dem GREAT-Empfänger an Bord des Flugzeugobservatoriums SOFIA sind seit 2011 mehr als 150 erfolgreiche Forschungsflüge durchgeführt worden. GREAT ist eine gemeinsame Entwicklung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bonn und KOSMA/Universität zu Köln, in Kooperation mit dem DLR-Institut für Optische Sensorsysteme in Berlin. Die Entwicklung von GREAT wurde von den beteiligten Instituten finanziert, unter Beteiligung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und dem von der Deutschen Forschungs­gemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereich 956.

NGC 7027: Sobald massearme Sterne wie unsere Sonne ihren Kernbrennstoff verbraucht haben, wird ein groߟer Teil ihrer Masse als expandierende Gashülle abgestoߟen. Dieses Phänomen bezeichnet man als “Planetarischen Nebel“ aufgrund ihrer Erscheinung bei früheren optischen Beobachtungen: ihre Farbe ähnelte der von Planeten. Im Inneren bleibt dabei ein heiߟer Zwergstern mit hoher Oberflächentemperatur, ein sogenannter Weiߟer Zwerg, übrig. NGC 7027 ist ein junger Planetarischer Nebel in einer Entfernung von rund 3000 Lichtjahren in Richtung des Sternbilds Schwan (Cygnus). Sein Alter kann aufgrund der Ausdehnung der Gashülle auf nur ca. 600 Jahre abgeschätzt werden und die ausgestoߟene Hülle ist mit einer Masse von ca. 3 Sonnenmassen noch ziemlich kompakt und dicht. Der Zentralstern ist mit einer Oberflächentemperatur von 190.000 Grad einer der heiߟesten überhaupt und mit dem 10.000fachen der Sonnenleuchtkraft ist er sehr leuchtkräftig. Das intensive UV-Strahlungsfeld des Sterns treibt eine Ionisationsfront in die umgebende Hülle. Genau in dieser dünnen Ionisationsfront herrschen die Bedingungen, die zur Entstehung von HeH + führen.

Heliumhydrid-Ion HeH +: Das Heliumhydrid-Ion entsteht durch die Reaktion des Edelgases Helium mit einem Proton (ionisierter Wasserstoff), also der beiden häufigsten Elemente im Universum. Das positiv geladene Ion ist hochreaktiv; es bildet die stärkste Säure und transferiert sein Proton bei Kontakt mit jedem neutralen Molekül. Nach den Gesetzen der Quantenmechanik emittiert jedes Molekül Strahlung bei genau definierten Frequenzen, die aus Rechnungen und aus Labormessungen bekannt sind. Sie bilden unverwechselbare Fingerabdrücke, mit denen die Moleküle über spektroskopische Messungen ihrer Radiostrahlung identifiziert werden können. Der energieärmste Rotationsübergang des HeH +-Ions erfolgt bei einer Frequenz von 2,01 Terahertz (oder 0,149 mm Wellenlänge).  


SOFIA, das Stratosphären Observatorium Für Infrarot Astronomie, ist ein Gemeinschaftsprojekt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR; Förderkennzeichen 50OK0901, 50OK1301 und 50OK1701) und der National Aeronautics and Space Administration (NASA). Es wird auf Veranlassung des DLR mit Mitteln des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages und mit Mitteln des Landes Baden-Württemberg und der Universität Stuttgart durchgeführt. Der wissenschaftliche Betrieb wird auf deutscher Seite vom Deutschen SOFIA Institut (DSI) der Universität Stuttgart koordiniert, auf amerikanischer Seite von der Universities Space Research Association (USRA). Die Entwicklung der deutschen Instrumente ist finanziert mit Mitteln der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des DLR.

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